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Eine glatte Lüge

"Mehr Fortschritt wagen", haben SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag überschrieben. Passender wäre der Satz "Mehr Vages wagen" gewesen. Das 177-seitige Dokument, das die Genossen Olaf Scholz, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock sowie FDP-Boss Christian Lindner gestern vorgestellt haben, ist in weiten Teilen nur ein politischer Wunschzettel. Einen Monat vor Weihnachten haben die drei Parteien ihre inhaltlichen Differenzen durch einen Kniff gelöst: Sie haben ihre jeweiligen Wunschvorstellungen in mehr als 50.000 wohlklingende Worte verpackt und schlicht aneinandergereiht. Sozialdemokraten, Klimabewegte, Liberale: Für jeden ist in diesem Füllhorn etwas dabei – aber konkrete Lösungsvorschläge für die gegenwärtigen Herausforderungen muss man mit der Lupe suchen. Auch den Beweis, dass sich all die Ideen, Vorhaben und Absichten zu einem schlüssigen Gesamtkonzept schmieden lassen, müssen die drei Parteien erst noch erbringen.

Ein Blick auf die wichtigsten Punkte:

Für den Kampf gegen Corona gründen die Ampelkoalitionäre einen Krisenstab im Kanzleramt, der sich von einer Expertengruppe beraten lässt – besetzt mit Virologen, Epidemiologen, Soziologen und Psychologen. "Wir brauchen diesen Sachverstand, um zu Erkenntnissen zu kommen", räumt Bald-Hausherr Olaf Scholz ein. Das ist der Bruch mit Angela Merkels klandestinen Corona-Kungelrunden. Ein überfälliger Schritt, der schon vor Monaten von Beobachtern gefordert wurde, auch hier im Tagesanbruch. Außerdem sollen Pflegekräfte einen einmaligen Bonus bekommen. Das ist nett, aber es ist viel zu wenig. In der außer Kontrolle geratenen Corona-Katastrophe, angesichts Schwerkranker, die in Rettungswägen Hunderte von Kilometern durch die Republik gekarrt werden müssen, weil immer mehr Intensivstationen voll sind, braucht es mehr als einen Expertenrat und ein bisschen Extrageld. Was ist mit strikten Kontrollen der 2G-Regel, mit harten Strafen für Verstöße, mit bundesweit einheitlichen Kontaktregeln, mit der Impfpflicht? "Wir werden alles tun, um die vierte Corona-Welle zu brechen", beteuert Grünen-Chef Robert Habeck. Stand jetzt ist das eine glatte Lüge.

Der Mindestlohn soll auf 12 Euro steigen, was einer Gehaltserhöhung für zehn Millionen Bürger gleichkommt, wie Olaf Scholz stolz vorrechnet. Damit hat die SPD ihr wichtigstes Wahlkampfversprechen durchgesetzt, Punkt für die Roten.

Den Neubau von 100.000 Wohnungen will die Koalition bezuschussen, weitere 300.000 sollen auf dem freien Markt entstehen. Ein kompliziertes Vorhaben, doch die SPD hat in Hamburg gezeigt, dass es geht. Die Mietpreisbremse wird verlängert und die EEG-Umlage abgeschafft, was den Strom günstiger macht. Ob das reicht, um die explodierenden Mieten in Großstädten zu drosseln, ist offen.

Ein "Bürgergeld" ersetzt Hartz IV, was im Wesentlichen bedeutet, dass die Empfänger weniger gegängelt und die verhassten Vermögensprüfungen erleichtert werden. Mehr Geld gibt es aber nicht, der Regelsatz bleibt gleich.

Auch das Rentenniveau soll dauerhaft gleichbleiben, Rentenkürzungen schließen die Koalitionäre ebenso aus wie ein höheres Renteneintrittsalter. Weil Rentner durchschnittlich aber immer länger leben, muss das nötige Geld irgendwo herkommen. Dafür plant die Ampel einen aktienbasierten Fonds, ähnlich wie in den skandinavischen Staaten. Das könnte funktionieren.

Junge Menschen bekommen eine Ausbildungsplatzgarantie, was in Zeiten der Vollbeschäftigung nach wenig klingt, in Krisenzeiten aber ein Meilenstein sein kann. Ebenso bemerkenswert ist die geplante Kindergrundsicherung: Alle Leistungen für Minderjährige werden zusammengeführt, zudem soll es mehr Geld für Schulen und Unis geben. Konsequent durchgezogen, können diese Projekte helfen, Deutschlands Zukunft als wohlhabende Wirtschaftsnation zu sichern.

Den Klimaschutz soll ein neues Superministerium vorantreiben, das alle Regierungsvorhaben auf ihre Vereinbarkeit mit den Klimazielen überprüft. Der Kohleausstieg ist "idealerweise" bereits für 2030 geplant, zudem bekommt der öffentliche Nahverkehr mehr Geld. Der moderate Anstieg des CO2-Preises bleibt, möglichst viele Dächer sollen mit Solaranlagen gepflastert und die Wasserstoffproduktion ausgebaut werden. Als Ergebnis wünschen sich die Koalitionäre, dass schon in neun Jahren 80 Prozent des Stroms im ganzen Land aus erneuerbaren Energien kommt. Ob und wie genau das alles funktionieren kann, bleibt offen. Also allenfalls ein halbes Pünktchen für die Grünen.

Bewaffnete Drohnen sollen künftig die Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen schützen. Rüstungsexporte wollen die Koalitionäre effektiver einschränken. Das Asylrecht soll es mehr Flüchtlingen gestatten, ihre Angehörigen nach Deutschland zu holen.

Die Verwaltung in Behörden und Ämtern soll vereinfacht und durch digitale Prozesse beschleunigt werden, auch hier bleibt das Papier allerdings bei vielen Knackpunkten vage.

Und woher kommt das Geld für all die Ideen? Im kommenden Jahr wollen die drei Parteien noch mal kräftig Schulden machen, ab 2023 die Schuldenbremse dann wieder einhalten. Punkt für die FDP.

"Wir haben außerordentlich ambitionierte Vorhaben", sagt Christian Lindner. "Man kann sich alles Mögliche vornehmen, allerdings hält sich das Leben oft nicht so recht daran", schreiben hingegen unsere Politikreporter Johannes Bebermeier, Sven Böll und Tim Kummert in ihrer Analyse des Koalitionsvertrags – und erinnern daran: "Die großen Herausforderungen der vergangenen Jahre – von der Euro- und Finanz- über die Flüchtlings- bis zur Corona-Krise – standen in keinem Koalitionsvertrag."

So gesehen sollten die Ampelleute nun schleunigst anfangen zu reagieren. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren.

Wir bleiben dabei!

Reichtumsuhr

Quelle: www.vermoegensteuerjetzt.de

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